Tatjana Kiel - Kategorie 2022 Sonderpreis „We All Are Ukrainians“

Früher hat sie die Boxkämpfe der Klitschko-Brüder geplant, heute steht sie im übertragenen Sinn selbst im Ring und kämpft für Ukrainerinnen und Ukrainer: Tatjana Kiel, Geschäftsführerin von KLITSCHKO Ventures, hat gleich zu Beginn des Krieges mit Dr. Wladimir Klitschko die Initiative #WeAreAllUkrainians gegründet. Aus Hamburg organisiert sie Hilfsmaßnahmen und -projekte für die Opfer des russischen Angriffskriegs.


Seit mehr als einem halben Jahr tobt der russische Angriffskrieg in der Ukraine. Der Bedarf an Produkten, die man sonst einfach im Supermarkt oder im Baumarkt kauft, ist in der Ukraine immens, die Hilfsbereitschaft in Deutschland aber ebenso, erlebt Tatjana Kiel, Initiatorin der Hilfsorganisation #WeAreAllUkrainians. Die ersten Monate waren geprägt von akuten Sofortmaßnahmen. Sie und ihr Team aus Freiwilligen schickten mit Unterstützung von Partnern aus der Wirtschaft Trinkwasser, haltbare Lebensmittel und Ersatzmaterial für Glasscheiben, um die zerstörten Fenster zu reparieren; sie lieferten dank großzügigen Spendern Sonographiegeräte für Ultraschall-Untersuchungen, medizinisches Gerät und Hygiene-Artikel – und noch mehr Lebensmittel. Die Lieferungen der Hamburger Initiative gehen auch weiterhin vornehmlich nach Kyiv, erster Ansprechpartner dort ist natürlich Tatjana Kiels langjähriger Geschäftspartner Dr. Wladimir Klitschko.

„Wir haben uns auf die Hauptstadt konzentriert, weil wir dort die Ansprechpartner kennen und dank großer Transparenz sicherstellen können, dass die Hilfe auch ankommt. Außerhalb von Kyiv arbeiten wir nach demselben Prinzip: Hohe Transparenz und bekannte Kontakte“, schildert Tatjana Kiel.

Die Logistik wurde mit großem Aufwand organisiert. Deutsche Bahn, Rossmann, Deutsche Telekom und viele mehr wurden Unterstützer und Spender der ersten Stunde. Dass Paletten von Gütern in ein Kriegsgebiet gesendet werden, hat natürlich seine besonderen Herausforderungen. „Lange Zeit konnten wir den Güterverkehr auf der Schiene nutzen. Als Strecken zerstört waren oder beschossen wurden, mussten wir einerseits die Transportmittel wechseln, konnten andererseits aber auch keine Glasprodukte mehr mitschicken, weil zu viel kaputt ging. Die Kommunikation birgt ohnehin ihre eigenen Herausforderungen, da man immer Gefahr läuft, von den Russen abgehört zu werden.“

#WeAreAllUkrainians

Als der Krieg im Februar 2022 über die Ukraine hereinbrach, waren Tatjana Kiel und ihre Kolleginnen und Kollegen bei Klitschko Ventures schockiert – vor allem aber auch in Sorge. Durch Tatjana Kiels lange Zusammenarbeit mit Wladimir und Vitali Klitschko ist eine Nähe entstanden, die sich fast schon als familiär bezeichnen lässt. Entsprechend war gerade in den ersten Tagen des Krieges die Sorge um die beiden Klitschko-Brüder und ihre Familien groß, auch weil aus Sicherheitsgründen kaum Kommunikation möglich war. „Diese ersten Tage waren extrem hart.“ Doch die Schockstarre des Kriegsbeginns ist schnell konkretem Handeln gewichen.

Nach dem ersten Telefonat schaltete Tatjana Kiel direkt in den Aktionsmodus – und wurde positiv überrascht: „Eine Erfahrung, die ich vorher im Marketing von Boxkämpfen nie gemacht hatte, war, dass ich um Unterstützung nicht einmal bitten musste. Ohne zu fragen haben Menschen ihre Hilfe angeboten in einem Umfang, dass wir diese überhaupt nicht vollständig in Anspruch nehmen konnten. Diese wunderschöne Erfahrung der Solidarität hat uns angespornt, mehr zu machen und aus der ad hoc-Initiative #WeAreAllUkrainians heraus eine gemeinnützige GmbH mit gleichem Namen zu gründen, gemeinsam mit der zweiten Geschäftsführerin Dörte Kruppa. Vom ersten Tag war das alles eine riesige Teamleistung, das bin nicht ich alleine gewesen.“ Die Unterstützung von Menschen in einem Kriegsgebiet ist aber auch emotional extrem herausfordernd: „Ich hatte unterschätzt, wie sehr das Leid der Menschen unsere Arbeit prägt und wie sehr es einen mitnimmt, wenn man etwa in Telefongesprächen oder Meetings direkt damit konfrontiert wird.“

Nach den Sofortmaßnahmen mit Gütertransporten ging es über zu „Paketen für spezielle Bedarfe“. Wenn es um Kinder oder werdende Mütter geht, ist die emotionale Anspannung besonders groß. #WeAreAllUkrainians unterstützt gemeinsam mit dm-Drogeriemarkt Mütter und ihre zu früh geborenen Babys mit allen nötigen Produkten für die Zeit des Wochenbetts. Der tagtägliche Stress des Krieges hat die Zahl von Frühgeburten enorm ansteigen lassen. Aber auch für Schulkinder ist der Alltag natürlich nicht mehr „normal“. Auch dafür werden spezielle Pakete geschnürt. Tatjana Kiel schildert: „Die Kinder können aufgrund der andauernden Gefahr von Raketenangriffen nur in Schulen zurückkehren, die auch einen Keller mit Schutzraum haben. Also brauchen sie Rucksäcke mit Ausrüstung für den Notfall, beispielsweise Lichtquellen, Signalgeräte und Notrationen. Wir kümmern uns um Fragen wie: Wo kaufen wir die Dinge ein und wer verteilt das? Wer kann die Rucksäcke packen? Welche Abläufe sind in der Logistik notwendig?“ Viele Fragen können dank der Klitschko-Kontakte direkt mit den richtigen Ansprechpartnern in ukrainischen Ministerien geklärt werden.

Tatjana Kiel und ihr rund 20-köpfiges Team haben fünf Task Forces gebildet. Dazu gehören inzwischen auch die Vermittlung von Pakten zwischen europäischen und ukrainischen Städten, Gemeinden und Institutionen für humanitäre Hilfe, Wirtschaftsbeziehungen und Wiederaufbau, Hilfsprojekte für geflüchtete ukrainische Staatsbürger in Deutschland, sowie die Organisation von Events und Aktionen, um Spendengelder einzuwerben.

Die Firma
Tatjana Kiel

Für „Visibility“ – Sichtbarkeit – sorgt eine der Task Forces. Das wird gerade jetzt, wo der Krieg schon so viele Monate andauert und sich bei der deutschen Bevölkerung ein gewisser Gewöhnungseffekt und Kriegsmüdigkeit einstellt, zunehmend wichtig. Benefizveranstaltungen wie das „Concert For Tomorrow“ in der Münchener Isarphilharmonie oder das Benefizfußballspiel im Hamburger Volkspark, helfen ebenso wie Aktionen von Privatpersonen im kleineren Rahmen. „Die eingesammelten Geldspenden sind dabei ebenso wichtig wie immer wieder laut zu werden und ins Gedächtnis zu rufen, wie groß das Leid in unserer europäischen Nachbarschaft ist und welche Verantwortung wir als Europäerinnen und Europäer haben, zu helfen wo wir können.“

Die Partnervertreter von stern, Sparkassen, ZDF und Porsche würdigen dieses außergewöhnliche Engagement mit dem Sonderpreis des Deutschen Gründerpreises. „Sie haben über Nacht eine der wichtigsten und bedeutendsten Hilfsorganisationen für die Ukraine aufgebaut“, so die Jury: „Sie haben abertausende Tonnen Hilfsgüter zusammengetragen und Ihre Kontakte und die von Wladimir Klitschko genutzt und so von vielen Unterstützung bekommen. Ihre Hilfe war nur möglich, weil sie in kürzester Zeit eine Organisation aufgebaut haben, die strukturiert ist wie ein perfektes Unternehmen. Das ist eine ganz besondere Gründerleistung. Dutzende Mitstreiter, hunderte Transporte, tausende Tonnen Hilfsgüter. Und kein Ende in Sicht.“

„Die Solidarität, die wir hier gerade in den Anfangstagen gespürt haben, war unglaublich. Diese trägt uns auch heute noch – zusammen mit dem positiven Feedback, das wir immer wieder aus Kyiv bekommen“, schildert Tatjana Kiel. „Es ist aber vor allem der Wille der Ukrainerinnen und Ukrainer, die Tag für Tag demonstrieren, dass für sie Freiheit und Demokratie die wichtigsten Güter sind. Am Ende des Tages ist es das, was uns alle am meisten anspornt.“

Dr. Wladimir Klitschko

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2022 Teil 5: Sonderpreis - Die Preisverleihung der Kategorie

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