
- TimeTeller
TimeTeller
Ihre innere Uhr weiß mehr, als Sie denken. Das Hamburger HealthTech-Startup TimeTeller bringt ein Diagnoseverfahren in die medizinische Praxis, das exakt misst, wann der Körper besonders empfänglich für oder empfindlich auf Medikamente reagiert. Die Basis: ein Speicheltest, kombiniert mit mathematischen Modellen, KI und molekularbiologischer Auswertung. Ziel ist nicht weniger als ein Paradigmenwechsel in der Medizin: weg vom starren Zeitplan, hin zur personalisierten Therapie im Takt der Biologie.
Medikamente wirken nicht zu jeder Tageszeit gleich. Das Hamburger HealthTech-Startup TimeTeller ist ein Paradebeispiel dafür, wie aus wissenschaftlicher Neugier ganz neue Wege für die Medizin entstehen. „Die Firma ist aus der in meiner Forschungsgruppe entwickelten Arbeit hervorgegangen“, erklärt Mitgründerin Prof. Dr. Angela Relógio (49). Über Jahre hinweg forschte sie an der Berliner Charité im Bereich Onkologie. Dann stieß sie auf ein Thema, das zunächst wie ein Lifestyle-Hype klingt, jedoch enormes medizinisches Potenzial birgt: der zirkadiane Rhythmus – die innere Uhr des Menschen. Relógio erkannte, dass Medikamente wie etwa Chemotherapien zu bestimmten Tageszeiten nicht nur besser wirken, sondern auch deutlich weniger Nebenwirkungen verursachen können. Gemeinsam mit Mitgründer Dr. Benjamin Dose (35) – Biochemiker, mit langjähriger Erfahrung in der Regulierung von Medizinprodukten und bei TimeTeller verantwortlich für Regulierung und Marktzugang – entwickelte sie aus dieser Einsicht die diagnostische Plattform TimeTeller.
„Wenn wir ein Medizinprodukt auf den Markt bringen möchten, können wir das nicht als Forscher allein tun“, sagt Relógio. „Dafür braucht es ein Unternehmen, das die nötigen Zertifizierungen und regulatorischen Anforderungen erfüllt.“ Die Gründung war also weniger eine klassische Geschäftsidee als ein wissenschaftlicher Schritt in die klinische Praxis – unterstützt von Förderprogrammen der Stiftung Charité, später durch das Charité-BIH Digital Health Accelerator Programm. Heute steht hinter TimeTeller ein interdisziplinäres Team aus Wissenschaft, Technik und Medizin, das an einem gemeinsamen Ziel arbeitet: personalisierte Medizin durch Zeitdiagnostik.
Der menschliche Körper folgt einem inneren Taktgeber. Fast jede Zelle besitzt eine eigene Uhr, synchronisiert durch eine zentrale Hauptuhr im Gehirn. Diese sogenannten zirkadianen Rhythmen steuern zahlreiche Prozesse – vom Schlaf bis zur Hormonproduktion. TimeTeller nutzt dieses Prinzip, um eine einfache, aber wirkungsvolle Frage zu beantworten: Wann ist der beste Zeitpunkt für eine medizinische Behandlung – individuell betrachtet? Kern des TimeTeller-Angebots ist ein diagnostischer Speicheltest. Patient:innen geben zu vier verschiedenen Tageszeiten Proben ab, die im Labor auf RNA-Moleküle untersucht werden. „Darüber messen wir die innere Uhr – einfach, nichtinvasiv und alltagstauglich“, erklärt Relógio. Die Daten werden mithilfe mathematischer Modelle und KI ausgewertet. Ergebnis ist ein persönliches Rhythmusprofil. Dieses ermöglicht nicht nur, bessere Zeiten für Medikamente zu bestimmen. Es liefert auch individuelle Empfehlungen zu Schlafenszeiten, Ernährung, Sport und Licht. Der Service richtet sich dabei sowohl an medizinisches Fachpersonal als auch direkt an Patient:innen. Im medizinischen Kontext fließt die Analyse in einen Arztbericht ein, der dann etwa zur Optimierung von Krebstherapien eingesetzt werden kann. Für Privatpersonen liefert TimeTeller individuelle Hinweise zur Lebensrhythmusanpassung.
Besonders relevant ist das Verfahren bei stark wirksamen Medikamenten mit hohen Nebenwirkungen – etwa in der Onkologie. „Wir haben beobachtet, dass die Toxizität von Krebsmedikamenten im Tagesverlauf um das bis zu Fünffache schwanken kann“, so Relógio. Dass ein Patient ein Mittel morgens schlechter verträgt als nachmittags, sei kein Einzelfall, sondern wissenschaftlich messbar. TimeTeller geht damit über die klassische Pharmatherapie hinaus. Auch bei chronischer Fatigue, Parkinson oder in der Frauengesundheit – etwa in den Wechseljahren – zeigen erste Studien vielversprechende Ergebnisse. Sogar im Spitzensport kommt das System zum Einsatz: „Wir können berechnen, zu welcher Tageszeit eine Sportlerin die höchste Leistungsfähigkeit hat – das ist für das Training enorm hilfreich.“ Was TimeTeller auszeichnet, ist der konsequent wissenschaftliche Ansatz – kombiniert mit hoher Anwendungsnähe. Es geht nicht um vage Chronotypen wie „Eule“ oder „Lerche“, sondern um konkrete, personalisierte Zeitfenster – messbar, auswertbar, klinisch nutzbar.
Noch ist das TimeTeller-System Ärzten vorbehalten – aber das dürfte sich bald ändern. Benjamin Dose: „Unser Produkt wird bereits in vier klinischen Studien in Deutschland und Portugal eingesetzt. Weitere Studien in anderen europäischen Ländern sowie in den USA und Kanada sind geplant.“ Rund 600 Patient:innen wurden bislang im Rahmen dieser Studien begleitet. In einem ersten Schritt will TimeTeller in Kooperation mit der Techniker Krankenkasse auf den Markt gehen. Ziel ist ein Präventionsangebot für Versicherte – ein persönlicher Report, der aufzeigt, wann Schlaf, Sport, Licht oder Ernährung am besten in den individuellen Tagesrhythmus passen.
Im Bereich der personalisierten Medizin besetzt TimeTeller damit eine Nische mit großem Potenzial. Weltweit wird das Feld der sogenannten Chronomedizin immer relevanter – nicht zuletzt angesichts steigender Krankheitslasten durch chronische Erkrankungen oder stressbedingte Dysbalancen. „Fast jede Krankheit ist mittlerweile mit einem gestörten zirkadianen Rhythmus assoziiert“, sagt Relógio. Die Störung der inneren Uhr ist als eigene Diagnose in der internationalen ICD-10-Klassifikation, dem WHO-System zur Einordnung und Verschlüsselung von Krankheiten, Symptomen und Gesundheitsproblemen, aufgeführt.
