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auticon GmbH, Berlin - Kategorie Sonderpreis 2015 Der Schatzsucher
Autisten als IT-Consultants? Das funktioniert nicht nur hervorragend, sondern bietet den Kunden einen echten Mehrwert, der die Projektergebnisse entscheidend verbessert. Die hochkarätig besetzte Expertenjury war beeindruckt, wie gut auticon soziale Verantwortung und wirtschaftlichen Erfolg miteinander verbindet und zeichnet das Berliner Unternehmen mit dem Sonderpreis des Deutschen Gründerpreises 2015 aus.
Die gute Nachricht: Ihr Sohn ist hochbegabt. Die weniger gute: Er ist Autist. Auticon-Gründer Dirk Müller-Remus reagierte wie jeder Vater. Er informierte sich, besuchte eine Selbsthilfegruppe. „Da saßen hochintelligente Menschen mit Top-Abschlüssen, aber alle frustriert und arbeitslos.“ Keine guten Aussichten für Sohn Ricardo. Die Erinnerung macht den 57-Jährigen heute noch wütend. „Alle reden vom Fachkräftemangel, aber diese hochtalentierten Menschen lässt man hängen.“ Gemeinsam mit Ehefrau Kerstin (53) entwickelte er eine Lösung: Ein Unternehmen, in dem Autisten keine Problemfälle sind, sondern ihre einzigartigen Stärken entfalten können: Extrem detailliertes Fachwissen auf ihrem Interessengebiet, ein angeborenes Qualitätsbewusstsein, absolute Ehrlichkeit und vor allem ihre weit überdurchschnittliche Fähigkeit zur Mustererkennung. „Wir wollten eine funktionierende Firma gründen, keine soziale Einrichtung.“
Im November 2011 kündigte Dirk Müller-Remus seinen Vorstandsposten in einem Medizintechnikunternehmen und startete auticon. Ein Social Venture Fund finanzierte das Startkapital von 500.000 Euro. Medienberichte weckten schon bald das Interesse der Kunden, doch Entscheidungsprozesse dauerten viel länger als geplant. Monatelang hingen Aufträge in der Schwebe. „Nach einem Jahr wurde das Geld knapp.“ Endlich, im Januar 2013 der allererste Umsatz von 1.000 Euro, am Ende des Jahres waren es bereits 700.000 Euro. Heute setzen mehr als 50 Unternehmen auf die besonderen Talente der rund 50 auticon-Berater, darunter Branchen-Schwergewichte wie Vodafone oder Siemens. „Wir waren selbst erstaunt, wie groß die Bereitschaft ist, sich auf unsere Mitarbeiter einzulassen.“ Autisten brauchen ihre gewohnten Routinen, bekannte Gesichter, sind häufig geräuschempfindlich. Darauf muss das Unternehmen sich einstellen. Deshalb hat jeder Consultant einen Jobcoach, der im Hintergrund praktische Probleme löst und ungewöhnliches Verhalten erklärt. Ironie, unklare Anweisungen, einen genervten Unterton, so etwas verstehen Autisten kaum. „Dadurch wird die Kommunikation in den Projektteams sachorientierter, Anweisungen klarer formuliert.“ Vor allem aber überzeugen die einzigartigen Fähigkeiten der auticon-Mitarbeiter. „Autisten sind einerseits extrem logisch und analytisch, andererseits höchst kreative Querdenker.“ Die Consultants betrachten Probleme aus ungewohnten Blickwinkeln und verbessern so die Gesamtergebnisse von IT-Projekten. Die Expertenjury war fasziniert: „Die speziellen Fähigkeiten von Autisten sind eine Bereicherung für die Wirtschaft und unsere Gesellschaft.“
Seine neue Rolle als Unternehmer fiel Müller-Remus dank seiner jahrelangen Führungserfahrung leicht. Autisten können sich bei Bewerbungen nämlich nicht gut verkaufen, man muss ihre wahren Talente erst entdecken. „Das ist wie eine Schatzsuche.“ Fehlentscheidungen blieben trotzdem nicht aus. Heute weiß er, worauf er achten muss, zahlt branchenübliche Gehälter. „Wir nehmen nicht jeden, aber wir laden möglichst jeden zum Gespräch ein.“ Die Auswahljury war begeistert: „Hier wird sozial verantwortliches Unternehmertum wirklich gelebt. Auticon verbessert das Leben seiner Mitarbeiter und integriert bislang benachteiligte Menschen in die Gesellschaft.“ Für diesen innovativen Ansatz erhält auticon den Sonderpreis des Deutschen Gründerpreises 2015. „Das ist der Höhepunkt meines beruflichen Lebens“, sagt Dirk Müller-Remus. „Die Medienresonanz ist für auticon Gold wert. Vor allem aber hebt sie das Thema Autismus stärker in das öffentliche Bewusstsein. Ich will, dass Autisten als ernst zu nehmende Persönlichkeiten und wertvolle Menschen anerkannt werden.“